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Haftpflicht­recht

Urteil Obergericht Luzern vom 15. Juli 2014 (1B 14 14)

Unsere Klientin erlitt im Jahr 2002 bei einem Verkehrsunfall ein Halswirbelsäulen-Distorsionstrauma («Schleudertrauma»/HWS-Verletzung). Die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung des Unfallverursachers weigerte sich, den unserer Klientin entstandenen Schaden (Erwerbsausfall, Haushaltschaden, Genugtuung, etc.) zu begleichen. Die Versicherung behauptete, die Beschwerden seien – wie im Unfallversicherungsrecht – nicht adäquat unfallkausal, und zudem – wie im Sozialversicherungsrecht – überwindbar. Daraufhin leiteten wir Klage vor dem Zivilgericht ein. Das Bezirksgericht hiess die Klage grösstenteils gut. Die Haftpflichtversicherung zog den Fall vor das Kantonsgericht, welches unserer Klientin Recht gab:

Mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Juli 2014 (1B 14 14 / 1U 14 11) beurteilte das Kantonsgericht Luzern die haftpflichtrechtlichen Folgen eines HWS-Distorsionstraumas. Den beklagtischen Einwand der fehlenden Adäquanz weist das Kantonsgericht wie folgt ab:

«Der Begriff der adäquaten Kausalität ist im Haftpflicht-und im Sozialversicherungsrecht zwar derselbe. Doch kann die Beurteilung als wertende Zuordnung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Im Bereich von Schleudertraumata treten Fälle auf, die im sozialen Unfallversicherungsrecht als nicht adäquat kausal gewertet werden, die man demgegenüber jedoch haftpflichtrechtlich als adäquat kausal einstuft. Dies soll auch so sein, weil das soziale Unfallversicherungsrecht und das zivile Haftpflichtrecht unterschiedliche Regelungsinhalte aufweisen und darum derselbe Begriff haftpflichtrechtlich richtigerweise weiter ausgelegt wird. Wenn nun der Begriff der Adäquanz in der Sozialversicherung durch die in BGE 134 V 109 zusätzlich festgelegten Kriterien nochmals und zusätzlich eingeengt wurde, kann daraus erst recht nicht eine Übertragung ins Zivilrecht erfolgen. In diesem Sinn hat das Bundesgericht auch im Urteil 4A_171/2012 vom 25. Juni 2012 bestätigt, dass die Adäquanz im Haftpflichtrecht weiterhin nach der allgemeinen Formel geprüft und die weitere Zurechnung beibehalten werde (vgl. HAVE 2014 S. 42 ff.). Zum vornherein nicht stichhaltig ist die Behauptung der Beklagten, die Klägerin hätte die bestehenden Leiden überwinden können. Die Frage der Überwindbarkeit stellt sich einzig im Sozialversicherungsverfahren, jedoch nicht im Haftpflichtprozess (S. 14 Ziff. 4.3.3).

Bezüglich der Schadensposition «vorprozessuale Anwaltskosten» entschied das Kantonsgericht, dem Datum der Honorarrechnung komme keine Bedeutung zu. Entscheidend sei vielmehr, wann die Honorarschuld mit den jeweiligen Mandatsverrichtungen entstanden ist. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz den vorprozessualen Anwaltsaufwand ab Datum des mittleren Verfalls (n.B.: der Periode der Leistungserbringung) verzinse (S. 21 Ziffer 6.9).

 

Urteil Obergericht Luzern vom 7. Januar 2013 (1B 12 47)

Eine Frau wurde bei einem Verkehrsunfall als Fussgängerin von einem Auto erfasste und zu Boden geworfen. In der Folge wurde sie arbeitsunfähig und später invalid. Gegen die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung musste Klage auf Schadenersatz und Genugtuung am Zivilgericht eingeleitet werden. Das Obergericht Luzern urteilte am 7. Januar 2013, das Zivilgericht sei an gerichtliche Feststellungen in einem sozialversicherungsrechtlichen Urteil nicht gebunden. Im Rahmen der Beweiswürdigung seien aber Sozialversicherungsgutachten zu berücksichtigen (E. 7). Ein Unfall könne auch natürlich kausal für Verletzungen ohne strukturelle Veränderungen sein. Strukturelle Veränderungen seien nicht nötig, um die natürliche Unfallkausalität zu bejahen. Auch der Vorbestand von psychosozialen Belastungen schliesse ein keiner Weise weitere psychische Belastungen durch natürlich unfallkausale Beschwerden aus (E. 8.2). Zudem sei die adäquate Kausalität im Sozialversicherungsrecht nicht identisch mit jener im Haftpflichtrecht (E. 10).

 

Urteil Bundesgericht vom 25. Juni 2012 (4A_171/2012)

Ein Mann mit Jahrgang 1975 erlitt im Jahr 2003 als Beifahrer einen Autounfall (Auffahrkollision). Ein HWS-Distorsionstrauma schränkte ihn seither in der Arbeitsfähigkeit und in der Fähigkeit zur Haushaltsführung ein. In der Folge wurde die Versicherung auf Schadenersatz, Genugtuung und Invaliditätskapital eingeklagt. Die kantonalen Gerichte urteilten, die unfallbedingte dauerhafte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit liege unter 10 %. Zudem sei die adäquate Kausalität nicht gegeben, d.h. der Unfall nicht nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung Ursache der Beschwerden. Zu diesem Ergebnis kam sie unter Anwendung der unfallversicherungsrechtlichen Adäquanzpraxis (BGE 134 V 109; «Schleudertraumapraxis»).

Diese Beurteilung hob das Bundesgericht auf:
Zwar gelte im Sozialversicherungsrecht der gleiche Adäquanzbegriff wie im Haftpflichtrecht. Eine schematische Übernahme der sozialversicherungsrechtlichen (unfallversicherungsrechtlichen) Adäquanz erlaube aber keine einzelfallgerechte Beurteilung und billige, adäquate Zurechnungsbeurteilung. Die Adäquanz könne daher im Haftpflichtrecht anders beurteilt werden als im Sozialversicherungsrecht (E. 2.3). Die Adäquanz dürfe daher nicht ausgehend von der Unfallschwere anhand sozialversicherungsrechtlicher Kriterien beurteilt werden. Vielmehr sei die Adäquanz hier haftpflichtrechtlich zu bejahen (E. 2.4), womit die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung grundsätzlich für die Unfallfolgen aufzukommen hatte.

 

Urteil Obergericht Luzern vom 27. September 2006 (11 04 163)

Wegleitendes Urteil zum Pflegeschaden: Auch die Präsenzzeit zur Überwachung eines Pflegebedürftigen muss abgegolten werden (Besprechung des Urteils in HAVE 1 / 2007 S. 35 ff.).

 

Urteil Bundesgericht vom 6. April 2006 (4 P. 1/2006)

Das Bundesgericht bestätigt, dass sich ein psychisch bedingtes Leiden selbst auf leichte Haushaltsarbeiten negativ auswirken kann.

 

4 C. 8/2005

Das Bundesgericht bestätigt den wirtschaftlichen Schadensbegriff. In einer unfallbedingten Aufgabe der bisherigen Berufstätigkeit kann immer ein Schaden begründet liegen. Dies wäre unter dem Titel «Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens» (Art. 46 Abs. 1 OR) zu würdigen. Ein Schaden ist gemäss Bundesgericht nur dann zu verneinen, wenn einzig Fähigkeiten betroffen sind, welche die geschädigte Person an ihrer Arbeitsstelle, aber auch in ihrer gesamten beruflichen Karriere nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht gebrauchen wird.

 

Urteil Bundesgericht vom 4. Februar 1997 (BGE 123 III 110 ff.)

Leitentscheid: Das Bundesgericht hat mit diesem Entscheid seine Rechtsprechung verdeutlicht, dass der adäquate Kausalzusammenhang im Haftpflicht- und im Sozialversicherungsrecht unterschiedlich ausfallen kann. Trotz einer Geschwindigkeitsänderung von lediglich Delta-V 3–5 km/h wurde der adäquate Kausalzusammenhang bestätigt.